Skurril

Nicht für jeden Geist

Kurzgeschichten/ Sketche

von Karl Kronmüller



Apfelfresserei

Lieber Vater da oben,


es tut mir echt leid, aber ich muss mich heute nochmals durch tiefste Verzweiflung an DICH wenden.

Hier unten geht die Post ab.

So eine Apfelfresserei hast Du noch nie gesehen.

Sie fressen die Äpfel am laufenden Band.

Die Äpfel Deines alleinigen Baumes! Dem verbotenen Baum!

Schon Adam und Eva hast Du damals eklatant hart bestraft - vielleicht nicht ganz richtig von Dir wegen eines einzigen Apfels, – aber was hier abgeht, das kann man sich kaum noch reinziehen. Selbst mir als Deinem Spitzel ist das zu viel.

Die Frauen sind eindeutig als Rädelsführerinnen zu entlarven.

Sie verführen die Männer zur Fresserei und nehmen billigend in Kauf, dass auch sie von Dir eine empfindliche Strafe zu erwarten haben.

Eine einzige Frau möchte ich ausschließen! Ihr Name ist Wencke Myrrhe. Mit ihrem Song „Beiß nicht gleich in jeden Apfel“, warnt sie klipp und klar vor der Fresserei oder fordert zur Vorsicht auf.

Denen scheint das aber egal zu sein. Ein Apfel nach dem anderen verliert sein Leben. Ich selbst bin so entsetzt, dass ich nur noch Birnensaft trinke.

Nimm also diese Zeilen ernst.

Von mir aus kannst Du machen, was Du willst. Sage aber niemals, keiner hätte Dich darauf aufmerksam gemacht.

Und vor allen Dingen: „Wundere Dich nicht, wenn der Baum plötzlich total leer ist!“

Mir kanns egal sein.

Das wars.

Dein Spitzel

 

Roswitha die Dame mit 2 Köpfen

Ladys an Gentleman! Besuchen sie unsere Vorstellung. Besichtigen und erleben sie:

Roswitha, die Dame mit den 2 Köpfen.

Ganz hier in der Nähe geboren. Ihr Vater war ein ehrbarer Schuhmachermeister. Alle anderen Kinder sind normal. Mediziner stehen vor einem Rätsel. Welch spektakuläre Laune der Natur brachte dieses bedauernswerte Wesen hervor?

Steuerbeamte versuchen derzeit verzweifelt per Gericht die Doppelbesteuerung durchzusetzen. Sie sind der Meinung, dass Roswitha wegen ihren 2 Köpfen auch 2-mal Steuern zu bezahlen hätte. Ein trauriges Kapitel der Intoleranz.

Roswitha aber will und wird leben.

Sie, Ladys und Gentleman, können ihr helfen. Besichtigen sie unsere kleine Lady mit den verdammten 2 Köpfen. 2 Köpfe, lediglich 1,40 m groß! Die Natur hat bei ihr mitleidlos zugeschlagen. Bewundernswert erträgt sie ihr Schicksal. Aber nicht nur das! Roswitha hat es sich in die Köpfe gesetzt zu heiraten. Allein aus diesem Grunde, gibt sie sich für kurze Zeit zur Besichtigung frei. Eine Hochzeit ist teuer.

Kommen sie herein, erleben sie Unfassbares. Schauen sie sich dieses Kunststück der Natur an. 

Aber, sie erleben noch viel mehr! Wir sind heute in der glücklichen Lage, ihnen den zukünftigen Ehegatten von Roswitha zu präsentieren:

Banabas den Heufresser.

Er ist der Glückliche. Ganz hier in der Nähe geboren. Sein Vater war ein ehrbarer Fleischermeister. Seine Geschwister sind alle normal. Nur Banabas wollte sich ausschließlich von Heu ernähren. Furchtbare Ess- Vorgänge spielen sich ab. Banabas ist nämlich Wiederkäuer. Erleben sie seine phänomenalen Fresseskapaden. 

Und noch eine Zusatzleistung für den heutigen Tag!

Roswitha hat sich für ein paar Stunden bereiterklärt, Banabas vor ihren Augen zu füttern!

Bringen sie also bitte besonders starke Nerven mit.

2 fehlgeleitete Geburten, halten sich vor ihren Augen selbst am Leben. Ein Ereignis, das sie als Zuschauer in ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen werden.

Wir alle sind schon heute gespannt auf den Nachwuchs der baldigen Eheleute.

Sentimental veranlagte Personen können wir leider nicht zuschauen lassen und keinen Zugang gewähren. Diese schöne Stadt hier hat eine zu kleine Krankenstation, um die öfters vorkommenden Nervenzusammenbrüche zu versorgen.

Sollten Sie unsere Warnungen aber ignorieren und trotzdem Einlass wünschen, um diese Einmaligkeit zu erleben, haben wir vorgesorgt. Bitte, nach dem Ticket gleich den linken Oberarm freimachen, damit wir ihnen sofort eine Injektion geben können, falls sie schon der erste Anblick umwirft. Ein ausgedienter, aber ehemals staatlich geprüfter Arzt steht bereit. 

Es geht los! Ticket lösen und in eine fremde Welt des Grauens eintreten.

 

Salamandereier

aus den Bergen des Wahnsinns!

Wohin wanderst du so hurtig eilend Schrittes, O wundersamer Nachbar?

Bist du wieder auf dem Weg? Gehst du nochmals dahin? Ist es dir nicht zu gefährlich?

„Viel Fragen auf einmal, mein Neugierdeerweckender naher Freund!“ Ja, ich bin auf dem Wege! Ich gehe nochmals dahin! Es ist mir nicht zu gefährlich!

Was machst du denn um Himmels Willen immer dort? Das sind doch die Berge des Wahnsinns!

Ich hole Salamandereier. Für meine Frau. Die gibt es halt nur auf den Bergen des Wahnsinns, biologisch echt massiv aktiv.

Ja, nochmals um Himmels Willen. Wieso braucht denn deine Frau Salamandereier? Ist sie krank? Was hat sie denn?

Sie hat sehr schwer die Frigidität. 

Salamandereier helfen dagegen? Geht dann richtig die Post ab, mit allem pi pa po?

Salamandereier helfen in der Tat, mein illustrer Freund. Wenn meine Frau die Eier ist, kann sie prima schlafen. Sie schnarcht dann sogar. Ich höre sie so gerne schnarchen.

Und deshalb, nimmst du diesen eklatant-gefahrvoll-ruhmreich Weg in Kauf? Faktisch in überzeugend Würdigung der Gefahr dieser Berge des Wahnsinns? Du bist ja ein Mann der horrent Bewunderung verdient und gnädig hinnimmt. 

Für wahr, Führ wahr, mein glorreich erquicklich Freund, Führ wahr, Führ wahr. Ich liebe meine Frau und würde ihretwegen alles in die Wege leiten. Sie dankt es mir oftmals sogar mit dem Geschenk eines Salamandereies, obwohl sie diese dringend selbst benötigt.

Du hast aber eine verdammt positiv eingestellte Frau. Sie kann man ja direkt als gutmütig entlarven. Wenn nur alle Frauen diese Begeisterung teilen würden und sich daran ereifern könnten. Schreite somit mutig weiter deiner historischen Schritte auf dem ruhmreichen Pfad, edelmütig qualifizierter Nachbar. Auch meiner Bewunderung und Wertschätzung, kannst du dich, mich gnädig unterwerfend, erfreuen.

Vielen Dank, glücksrauschend ersprießlich Nachbar. Deine Wünsche werden in der dringend erforderlichen Sensibilität meinen Schreckensweg begleiten. Sollte ich jemals heil von Dannen wiederkommen, kannst du im Turnus weitere Unterhaltung mit mir anstreben. Ich lustwandle nun spurtig weiter. Meine Frau ist nämlich gerade auf dem Höhepunkt ihrer Frigidität. Sie braucht die Salamandereier in dringlichster Notdurft. Gehe auch du aufrecht deines Weges weiter. Dein Garten sollte dringend Buddlung finden, damit unsere Frauen sich an den Blüten erfreuen können. Salamander zum Gruß, mein tolldreist ermunternd Freund.

Auch dir sollen Salamandergrüße beschieden sein, mein nie verzagender Nachbar!

Rückkehr aus den Bergen des Wahnsinns mit Heuschreckenbalsam

Hallo, du mein strebsam arbeitend Freund. Ich bins. Dein schon von weitem frohlockend Nachbar. Gelangweilt Schrittes kehre ich von den gefahrvoll Bergen des Wahnsinns zurück. Meine edelmütig Tat konnte besser als vorsätzlich geplant Erledigung finden. Du freust dich sicherlich mich würdevoll erblicken zu dürfen. Salamandereier habe ich allerdings keine.

In der Tat, erblicke ich dich mehr als zweifelhaft gerne mein leger dahintrottender Nachbar. Ich habe dich unsagbar vermisst. Glaubte garnicht dich jemals wieder erblicken zu müssen. Jetzt aber, nachdem du lukrativ aus den Bergen des Wahnsinns zurückgekehrt bist, können wir unser fruchtloses Gespräch genial fortsetzen. Was sagst du aber? Salamandereier hast du keine? Ja was um Himmels Willen wird dann deine von der Frigidität befallene Frau gegen dich unternehmen? Denkst du wirklich, dass sie dies zweifelsfrei und billigend in Kauf nimmt?

Keine Sorge, keine Sorge, mein sich mit Argumenten überhäufender Nachbar. Ich habe was noch viel Besseres dabei als Salamandereier. Meine Frau wird vor Freude aus der Haut fahren. In genau erfassten klaren Sommernächten, gelang es mir zielbewusst Heuschreckenbalsam zu erpressen. Balsam von 4 Jung und 17 Alttieren der Heuschrecken, mit detailliertem Lebenslauf und Zuchtnachweis. Von zertifizierten Salamandern. Alle hatten Idealgewicht. Kein Gramm Fett, wegen dem Cholesterin, vor dem meine Angebetene so Angst hat. 7 von den Exemplaren waren vom Auspressen so begeistert, dass sie es immer und immerwieder wollten. Obwohl sie schon ganz trocken und mürbe dalagen, grillten sie vor Freude in den höchsten Tönen. Wie die Kühe auf das Melken warten, muss den Heuschrecken das Balsam abgemolken werden. Dann nur sind sie ganz glücklich. Nach dem Melken machen sie besonders hohe Sprünge und zirpen unerträglich freudig. Das habe ich nun dabei in absoluter Frischqualität, haltbar 2 Jahre, tiefgekühlt. Meine Frau wird sich so freuen, dass sie ihre Aggressionen nicht im Griff behalten können wird und mir sicher ein konzentriertes Glas davon an meinen Kopf wirft. Sie wird sehr glücklich sein. Wir lieben uns total bis zu den Grenzen des Machbaren. Ich würde alle Rechtskräftigen Wege für sie in Kauf nehmen. So ein wunderbares Geschenk misslang mir selten.

Ja, ist denn dieses spezifizierte Heuschreckenbalsam auch gegen die gravierende Frigidität deiner Frau?

Aber nicht doch, aber nicht doch, mein in absoluter Unkenntnis schwebender Bewunderer. Heuschreckenbalsam fördert in kaum zu unterschätzender Geschwindigkeit das Krankeitsbild der Schizophrenie und bringt Erlebnisse ohne Suchtmittel hervor. Tagelanges Freudengelächter bis zur Unerträglichkeit der Glücksgefühle. Es ist fast ein Allheilmittel. Aber nur von frisch gepressten Heuschrecken mit Idealgewicht und zertifiziertem Gütesiegel. So, nun kennst du mein Geheimnis, in aller Offenheit intern vorgetragen.

 

Kaum zu glauben! Auf Grund deines Erscheinungsbildes war mir schon immer klar, dass du ein besonders erfrischender Zeitgenosse sein musst. Ich will dir somit größten Dank zollen für die Freigabe dieses Geheimnisses und bedanke mich somit auf die dümmlichste Art und Weise. Hast du denn eine Bedienungsanleitung oder Gebrauchsanweisung?

Selbstverständlich, mein sich selbst nicht gut gesonnener und kaum ernst zu nehmender Gesprächspartner. Ich darf sie dir jedoch nicht ohne notarielle Vertraulichkeitsvereinbarung zugänglich machen. Auch nicht wegen den Kopierrechten der Apotheker. Auszugsweise gebe ich dir aber ganz grob und fadenscheinig skizzierend, rein verbal etwas Kenntnis. Also, die salbende Creme trägt man leicht massierend auf den rechten Daumennagel. Dann muss sich die betroffene Frau sputig in Sicherheit begeben. Es ist nämlich nicht ganz auszuschließen, dass sich noch ätzend zersetzende Säuren explosionsartig entladen und große Not herbeiführen. In manchen Fällen sollen sogar die Dachziegel heruntergefallen sein und den Probanden erhebliche Schmerzen zugefügt haben. Mehr darf ich aber um Himmels Willen niemals äußernd von mir geben ohne Verschwiegenheitspflicht. Ich hoffe, du nimmst diesen Umstand zolldankend zu deiner Kenntnis der Neugierde.

Was bleibt mir anderes übrig, mein Informationsgebender Meister der Heil- und Salbenkunst? Gestatte jetzt aber bitte den Rückzug in mein wohlvertraut und Zwischenfinanziertes Eigenheim. Zu Viel der neuen Kund überbrachtest du mir. Lebe wohl und ziehe deinem Schicksal gemäß tolldreist von Dann. Jeder weitere Moment in deiner Nähe könnte meiner Unbeherrschtheit Förderung verleihen, wobei ich nicht ausschließen könnte, dass ich in urtümlichster Art grob und fahrlässig handeln würde. Grüße mir ganz glorreich deine zu behandelnde und dich liebende Frau. Mein ergiebigster Heuschreckengruß!

So ist es recht, dunkel ahnender und hoch erregter Nachbar. Zieh dich gefälligst zurück und grüße auch du deine Frau. Sofern sie den Daumennagel sauber hat, kann sie etwas von meiner Salbe haben. Ein ganz neues Glücksgefühl wird sie überzeugend erheischen. Salamander – und Heuschrecken „Glück auf!“ Explosive Freude soll unsere Nachbarschaft stets begleiten.

Die Schreckensnacht mit dem Säugling Amadeo

Für die Mütter dürfte es kaum ein größeres Glücksgefühl geben, als die Geburt ihres Kindes.

Da liegt es dann in den Armen, noch rosarot und schön eingepackt. Die Verwandten strömen auch herbei. Omas, Opas, Onkel und die Tanten. Freundinnen, Freunde. Alle kommen zur Besichtigung.

Ich war auch dabei, als eine „Art Opa“. Mit der Oma war ich nicht verheiratet, sondern wir lebten seit 20 Jahren in einer eheähnlichen Partnerschaft. Auch verweigere ich die Anrede „Opa“. Man fühlt sich gleich wesentlich älter. Hinzu kommt bei der Gesetzeslage in Deutschland, mit Tausenden von Zusatzverordnungen, die Gefahr einer Anzeige. In dem Sinne: Der lässt sich als Opa anreden und ist gar keiner! Somit Gefahr erkannt und gebannt! Ich bin schlichtweg als Freund zu bezeichnen, kein Opa, kein Onkel oder Sonstiges.

Natürlich machten sich die Kinder, der Erstgeborene und dann auch Amadeo, später, den Spaß, mich besonders mit „Opa“ anzureden.

Zurück zum Krankenhaus und der geglückten Geburt mit allen Freuden.

Es ist ein Wunder. Unbegreiflich. Da liegt ein kompletter neuer Erdenbürger und hat alles, was er für die Zukunft braucht. Zwar in Miniformat, jedoch sofort erkennbar. Ich empfand automatisch ein tiefes Glücksgefühl. Vorsichtig fasste ich die rosaroten Fingerchen an. Wollte mich ihm mit Kinderlauten verständlich machen, aber der Andrang zur Besichtigung war immens. Rücksichtnahme war geboten und ich zog mich zurück.

Ich konnte damals nicht ahnen, dass mir ausgerechnet dieser Säugling Amadeo, eine der schlimmsten Nächte besorgen würde.

Nach dem Krankenhaus, dann daheim, entwickelte sich das Baby super. Amadeo sah nicht nur als Säugling wunderbar aus, sondern man musste ihn auf Anhieb auch gleich gernhaben. Mir ging es so. Ich gab ihm gleich eine einschätzende Berufsbezeichnung. Er wird mal Bäckermeister mit eigener Konditorei. 


Komm zu mir meine Bäckermeister, sagte ich jedes Mal, wenn ich ihn halten wollte. 
Der Säugling fühlte sich sichtlich wohl bei mir. 

Das empfand nicht nur ich so, sondern, das vernahmen alle, sofern anwesend.


Der Vater von Amadeo, war ein erfolgreicher Maschinenverkäufer, bereiste die Balkanländer, und war zwangsläufig lediglich an den Wochenenden Zuhause. Die Mutter (meine „Art Schwiegertochter“), eine temperamentvolle Italienerin, in verantwortlicher Position, sehr klug und emsig, jedoch allein mit zwei Kindern, zwei Katzen und einem Hund. Egal wie fleißig sie war und ihr bestes gab, sie wurde überfordert, zumal der Säugling Amadeo ihr mit seinem nächtlichen Geschrei die notwendige Ruhe raubte. Ihr erging es halt wie Tausenden von jungen Müttern. Egal wie groß die Freude war, ist und bleibt, die Nerven können nicht immer Ruhe vorspiegeln, wo keine ist, sondern halt Babygeschrei. 


Die eingetretene Situation entging auch nicht meiner Betrachtung. Somit erklärte ich mich bereit, wenigstens die Hündin „Bella“ - Rasse Beagle- täglich zu versorgen mit Spaziergängen wegen „Gassi“ und Auslauf. Dies über viele Monate hinweg. Nicht ahnend, dass hierdurch ein besonderes Verhältnis zum Säugling und „meinem Bäckermeister“ folgte. Er gewöhnte sich so sehr an mich, dass tatsächlich als eine extrem zu bezeichnende Situationen familienintern entstand, durchaus auch peinlicher Natur. War ich bei einem Familienfest anwesend, zählte für ihn niemand mehr, sondern ausschließlich meine Wenigkeit. Selbst seine Mutter wurde zweitrangig. Bei Tisch musste ich mich neben ihn setzen und ihn „füttern“. An- oder Ausziehen, verlangte er von mir. Das ging so weit, dass ich ihm sogar die Windeln wechseln sollte, was ich aber strikt verweigerte. Babys oder Säuglinge können furchtbar riechen. Selbst aus größerer Distanz warf mich der Geruch fast um. Hundekacke ist dagegen harmlos. 

Natürlich wunderten sich die Anwesenden stets über diese totale Verbundenheit und Vertraulichkeit zu mir. Ich wusste es ebenso wenig. 


Sehr wahrscheinlich dürfte der Umstand deshalb eingetreten sein, da sein Vater nur übers Wochenende anwesend war und sich lediglich ein paar Stunden um ihn kümmern konnte. Aber ich täglich das Hündchen abholte und ihn kurz begrüßte, vielleicht auch auf die Schnelle in die Arme nahm.


Unter diesem Hintergrund kam es nun zu der besagten Schreckensnacht für mich.

Amadeos Eltern waren zu einem Fest eingeladen. Dauer bis spät in die Nacht hinein. Den Erstgeborenen brachte sie bei ihren Eltern unter, und Amadeo sollte in Übereinstimmung bei uns übernachten.

Vereinbart, gekommen und übergeben. Natürlich gleich zu mir. Die Übergabe an meine Lebensgefährtin verweigerte er sofort. Sein Schrei mit krebsrotem Köpfchen, machte die Situation klar. Von den Armen seiner Mutter konnte die Überreichung nur an die meinigen sein. So hielt ich ihn und die Eltern gingen von dannen, zum Fest. Da war er nun. Bei mir. In meinen Händen. Vorsichtig haltend, sah ich ihn an. Er war wunderbar. Laute der Zufriedenheit konnte ich vernehmen. Ein bisschen gemurmelt, gegurrt, auch eine Art von quietschen verstand ich und auf diese Weise verständigte er sich, keinen Blick von mir lassend. Ich bediente mich dann ebenfalls dieser Sprache. Wir waren glücklich. Manchmal auf dem Sofa etwas sitzend, dann liegend, wieder auf meinem Armen, verrannen die Stunden. Der Schlaf überkam ihn. Ganz friedlich nickte er ein. 

Amadeo, mein Säugling und Bäckermeister mit eigener Konditorei, schlief tief und fest, mit einem glücklichen Gesichtchen. Die Windeln hatte sie vorher gewechselt. So roch er sogar angenehm. Wechseln wäre für mich nicht möglich gewesen. Ich kenne meine Grenzen. 

Seine gesetzliche Oma wartete schon im Bett auf ihn. Durch meine Schnarcherei schlafen wir getrennt. Freudig nahm sie ihn entgegen. Sie liebte ihn auch total. Doch was geschah? Kaum übergeben, wachte er auf, schaute sich um, mich gestikulierend flehend an und schrie wie am Spieß. Er japste hierbei so schlimm, rang nach Luft, die Tränen kullerten seinen Bäckchen herunter, das Köpfchen lief auf Hochrot, sodass ich Schlimmstes befürchtete. Es machte keinen Sinn zu versuchen ihn zu beruhigen. Keine Chance. Das Komische hierbei, war, dass er Laute wie Kau, Kau, Kau, hervorbrachte. Mit seinen nun ca. acht Monaten mussten wir tatsächlich davon ausgehen, dass er meinen Namen „Karl“, also mich, meinte. Ich war für ihn der Kau. Unfassbar. Das ging mir noch tiefer ins Gemüt. 

Es blieb nichts anderes übrig. Ich musste ihn zu mir ins Bett mitnehmen. Da lag er nun. Der Säugling Amadeo, mein persönlicher Bäckermeister, in meinem rechten Arm. Leicht noch murmelnd, schlief er sofort ein. Seine Händchen hielt ich. Ein komisches Gefühl übermannte mich. Irgendwie völlig unbekannt, aber angenehm. Ist mir im Leben noch nie passiert. 

Ich schaute nebenher TV. Gegen 23 Uhr bekam ich Angst. Ein Sekundenschlaf wollte mich einfangen. Um Gottes Willen ja nicht einschlafen! Bei meinem unruhigen Schlaf könnte es sein, ich würde mich hin- und her wälzen. Vielleicht dabei meinen Bäckermeister zerdrücken, oder ihn ersticken. Das darf nicht geschehen. Schnell einen Kaugummi aus der Nachttischschublade gezogen und gekaut. Nur kein Schlaf bitte!

Im Fernsehen kam Mist. Egal wo ich hinschaltete Langeweile. Gegen 2 Uhr spürte ich meinen rechten Arm nicht mehr. Kein einziges Gefühl. Der war abgestorben. Ein absoluter Fremdkörper. Was tun? Die Durchblutung muss schnell wiederkommen, dabei darf aber Amadeo nicht aufwachen. Egal, ich musste handeln. Schnell die Position ändern. Natürlich wachte mein Schlafgefährte sofort auf, nachdem ich die wechselte, ihn auf das Kissen direkt platzierte. Sehr wahrscheinlich wird er gleich mit der Schreierei anfangen. Aber? Nichts geschah. Er sah mich nur kurz an und murmelte „Kau“. Da war ich voll fassungslos, kämpfte erfolgreich gegen den wiederkehrenden Sekundenschlaf, machte der Situation so um die 5 Uhr ein Ende. Ich konnte nicht mehr, packte das Bündel und verfrachtete ihn zu meiner Lebensgefährtin, seiner Oma ins Bett. Genug ist genug.

Der Kleine muss aber so müde gewesen sein, dass er Gott sei Dank nicht aufwachte.

Ich selbst schlief nun den Schlaf des Gerechten. Irgendwann vormittags vernahm ich nur sein Geschrei, als die Eltern ihn abholten. „Kau“ war öfters dabei!